35. Römerberggespräche – Die Berliner Republik – Eine Betriebsbesichtigung

1990 war das Ende der Teilung und der Nachkriegsepoche unwiderruflich. Die größere Bundesrepublik, der die DDR beigetreten war, schloß mit dem (von dem Publizisten Johannes Gross in die Öffentlichkeit gebrachten) Begriff „Berliner Republik“ an die demokratische Substanz der Weimarer und der Bonner Republik an. An ihrer Gründung war ein von keiner Skepsis gebremster Optimismus beteiligt. Als der Bundestag im Juni 1991 beschloß, die wichtigsten Verfassungsorgane und Großteile ihrer Verwaltung in die ehemalige Hauptstadt zu verlegen, erschien jeder Aufbruch möglich und wahrscheinlich. Doch der Prozeß der Selbstfindung in den ungewohnten Verhältnissen und das historische Geschenk der Wiedervereinigung haben zu neuen Verwicklungen, unvorhergesehenen Rückschritten, inneren Verfremdungen geführt. Alles wirkt viel komplizierter und widersprüchlicher als ursprünglich gedacht. Gegenwärtig scheint die Berliner Republik von globalen politischen Zwängen und von der Kompromißnot der Großen Koalition umstellt. Es fehlt ihr an Souveränität zur Selbstkritik ihrer Entwicklung in mehr als anderthalb Jahrzehnten und zur utopischen Vorausschau jenseits der demographischen Hochrechnung.